MONTAGS-DEMO FREIBURG
Redebeitrag vom 27.10.08

Hessisches Landessozialgericht:
Hartz IV-Regelsätze sind verfassungswidrig

Hartz IV-Armut kommt vor das Bundesverfassungsgericht

Darmstatt - Nach einer heutigen Entscheidung des hessischen Landessozialgerichts reichen die Hartz IV-Regelsätze nicht aus, um das soziokulturelle Existenzminimum der Arbeitslosen zu sichern. Damit werden die entsprechenden Passagen des Sozialgesetzbuchs II dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Die pauschalen Sätze, die der Gesetzgeber für bedürftige Arbeitslose und ihre Kinder festgesetzt hat, sind nach Ansicht der Darmstädter Richter zu niedrig und verstoßen gegen die Menschenwürde der Arbeitslosen, gegen den verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, gegen das Schutzgebot für Ehe und Familie sowie gegen das Rechts- und Sozialstaatsprinzip.

"Das Bundesverfassungsgericht fordert einen Schutz des Existenzminimums ohne wenn und aber", sagte der Vorsitzende Richter Jürgen Borchert bei Bekanntgabe des Beschlusses. Doch der Gesetzgeber habe die Regelsätze so begrenzt, dass allenfalls das "nackte Überleben" gewährleistet sei. Anlass für das Verfahren war die Klage einer Familie aus Eschwege. - Vater, Mutter und eine 14 Jahre alte Tochter. Die Arbeitsagentur Werra-Meisner hatte ihnen im Jahr 2005 einen monatlichen Betrag von knapp 830 Euro zugesprochen, je 311 Euro für die Eltern und 207 Euro für die Tochter. Hinzu kamen Miete und Heizkosten. Die Summe entsprach zwar den gesetzlichen Vorgaben, aber die Familie K. sah ihr Existenzminimum nicht gedeckt und forderte nachträglich eine monatliche Aufstockung um 355 Euro. Vor allem für die Tochter würde das Geld hinten und vorne nicht reichen. Das Kind könne sich kaum Hefte, Schuhe oder Klassenfahrten leisten. Bislang hatten schon mehrere Arbeitslose haben erfolglos versucht, die Regelsätze des Sozialgesetzbuchs II gerichtlich auszuhebeln. Das Bundessozialgericht hatte die Hartz IV-Armut 2006 gebilligt, ein Urteil über die Summe für Kinder steht Mitte November an. .

Familie K. hatte ihren Bedarf genau beziffert und das Gericht stützte seine Entscheidung auch auf die Aussage mehrerer Gutachter. In der mehr als sechs Stunden dauernden Verhandlung wurden die Berechnungsmethoden des Gesetzgebers kritisierten. Nachdem vier Gutachten zur Bedarfsbemessung eingeholt worden waren, beanstandeten die Darmstädter Richter, dass der besondere Bedarf von Familien mit Kindern durch die Regelleistungen nicht berücksichtigt werde. Für die Begrenzung der Leistung für Kinder auf 60 Prozent des Regelsatzes eines Erwachsenen fehle es an einer hinreichenden Begründung. Nicht ersichtlich sei auch, weshalb 14- jährige Kinder trotz höheren Bedarfs die gleiche Summe erhielten wie Neugeborene. Das Bundesverfassungsgericht habe bereits 1998 bei der Prüfung der Steuerfreibeträge den damals geltenden Regelsatz für Kinder beanstandet, weil dieser den außerschulischen Bildungsbedarf nicht berücksichtige. Diese höchstrichterliche Entscheidung sei bei der Hartz-IV-Gesetzgebung nicht beachtet worden, kritisierte das Landessozialgericht. Die Regelsätze seien weder mit der Menschenwürde, noch mit dem Gleichheitsgebot und dem sozialen Rechtsstaat vereinbar.

Beim Bundesverfassungsgericht wird nun die Frage anstehen, wie viel Gestaltungsspielraum der Gesetzgeber hat, wenn es um Hilfe für Bedürftige geht. In welchem Umfang können Gerichte statistische Methoden kontrollieren oder verwerfen? Der Vertreter der Bundesregierung kritisierte, die Sozialgerichte hätten schon "viel Kreativität darin bewiesen, Gesetze verfassungskonform auszulegen und sich als Bedarfslückenschließer zu betätigen". Was volkswirtschaftlich wünschenswert sei, sei juristisch nicht immer zwingend. (Az. L 6 AS 336/07).

http://www.elo-forum.net/hartz-iv/hartz-iv/-200810292035.html

 

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