MONTAGS-DEMO FREIBURG
Redebeitrag vom 21.01.08

Sozialabbau und Lohnentwicklung

Überlegungen zum Tarifabschluß der GDL

Der Tarifabschluß der Gewerkschaft der LokführerInnen (GDL) - soweit er bisher öffentlich wurde - gilt zurecht als ein positives Signal für die anstehenden Tarifrunden in 2008 und für die weitere Lohnentwicklung. Es dürfte klar sein, daß das Auf oder Ab bei den Löhnen und Gehältern deutliche Auswirkungen auf den Sozialabbau oder auf eine Trendwende auch in diesem Bereich haben wird. Wer sich die soziale Entwicklung in Deutschland und auch in anderen Industrienationen über mehrere Jahrzehnte hin anschaut, wird erkennen, daß Zeiten der "Lohnzurückhaltung" - also der Reallohnverlusts großer Teile der Bevölkerung - mit einem Abbau sozialer Rechte auch bei Erwerbslosen und RentnerInnen verknüpft ist und umgekehrt: daß eine starke Position in Tarifkonflikten sich auf das gesamte soziale Klima einer Gesellschaft positiv auswirkt. Jedem, die oder der sich bei einer gesellschaftlichen Analyse auf die real wirkenden Kräfte bezieht - statt auf Bla-Bla und Ideologie - wird nicht daran vorbeikommen: Streik ist das mit Abstand wirkungsvollste Instrument im Kampf zwischen Arbeit und Kapital - solange wir im Kapitalismus leben müssen.

Es gab am Verhandlungsergebnis der DGL auch Kritik. Mit dieser will ich mich zunächst beschäftigen. Selbstverständlich nicht mit Kritik von der Art, der Tarifkonflikt habe der Bahn AG bei ihrem Gang an die Börse genutzt. Ein solches Argument läßt sich schon bei ein ganz wenig Nachdenken als fadenscheinig erkennen. Zunächst mal zur Stimmung bei den Betroffenen: Immerhin war eine nicht geringe Zahl von LokführerInnen nach den veröffentlichten Zahlen von Mitte Januar enttäuscht. Gemessen an der berechtigten und gemessen am europäischen Vergleich durchaus maßvollen Lohnforderung von 31 Prozent sind gestaffelte Erhöhungen zwischen 7 und 15 Prozent recht kärglich. Zu erwähnen sind da noch die vereinbarte Einmalzahlung von 800 Euro für den Zeitraum Juli 2007 bis Februar 2008 und die Reduzierung der Wochenarbeitszeit.

So wird von manchen LokführerInnen die Senkung der Wochenarbeitszeit von 40 auf 41 Stunden lediglich als Rücknahme einer vor 2 Jahren erduldeten Verschärfung wahrgenommen - also lediglich als Wiederherstellung eines Status Quo. "Was uns geklaut wurde, haben wir uns zurückgeholt. Aber das ist keine Verbesserung." Viele LokführerInnen sind - nicht ganz zu unrecht - davon überzeugt, daß die Verhandlungsführung und die Streiks druckvoller hätten sein können. Nicht vergessen sollte dabei aber werden, daß bei einer härteren Gangart das Risiko bestanden hätte, die Sympathien bei einer knappen Mehrheit der Bevölkerung aufs Spiel zu setzen.

Dagegen heißt es: Mit dem Kleckerles-Streik wurde die Bevölkerung erst recht verunsichert. Und: GDL-Chef Schell habe sich von Bahn-Chef Mehdorn immer wieder hereinlegen lassen. Mit einem kurzen aber wirkungsvollen Streik, bei dem der gesamte deutsche Schienenverkehr lahmgelegt worden wäre, hätte bereits im Sommer 2007 mehr herausgeholt werden können, als mit der an den DGB angelehnten Taktik der Nadelstiche. Andere meinen wiederum, ein unbefristeter Streik hätte so lang durchgezogen werden sollen, bis die Bahn AG ein vernünftiges Angebot vorgelegt hätte.

Für viele LokführerInnen steht auch die bange Frage im Raum, ob die für 2008 zu erwartende höhere Inflation die bescheidenen Tariferhöhungen nicht gänzlich auffressen wird. GDL-Bezirksvorsitzende verteidigen das Ergebnis als positiv und achtbar - zumal es der erste eigenständige Tarifkonflikt gewesen sei, den die kleine Gewerkschaft gegen einen gewieften Manager wie Mehdorn durchzustehen hatte. Ob die Tarifvereinbarung für die GDL-LokfüherInnen letztlich positiv oder negativ ist, wird sich jedoch erst im Laufe dieses Jahres erweisen. Und das hängt - neben der Inflationsrate - an Faktoren, die niemand im Griff hat. Vielen GDL-GewerkschafterInnen ist bereits jetzt bewußt, daß sie 2009 erneut hohe Lohnforderungen werden stellen müssen und es erneut zu einer Kraftprobe kommen wird.

Wichtiger als diese - nicht ganz unwichtigen - Abwägungen ist die politische Wirkung des Tarifabschlusses:

Der harte und langwierige Kampf zwischen GDL und Bahn AG wurde über die Monate hin in der Öffentlichkeit genau verfolgt. Ein Indiz zumindest, daß die GDL den Sieg davontrug, mag in der Reaktion des Bahn-Chefs Mehdorn gesehen werden. Mehdorn zog es vor - statt den Tarif-Abschluß als Kompromiß zu würdigen und das Gesicht zu wahren - auf Rumpelstilzchen zu machen und mit Preiserhöhungen und Entlassungen zu drohen.

Rund zehn Monate nach Beginn der Verhandlungen und nachdem Mehdorn den Streit vor ihm genehme Gerichte gezerrten hatte, ist der Bahn-Vorstand nunmehr nach massivem Druck deutscher Wirtschaftsverbände zu einem eigenständigen Tarifvertrag mit der GDL bereit. Trotz zeitweiliger absurder gerichtlicher Streikverbote und trotz Querschlägen aus der Gewerkschaftshierarchie hat die Fahrpersonalgewerkschaft GDL die wichtigsten Ziele erreicht. Der Bahn-Vorstand ist nun endlich zu einem eigenständigem Tarifvertrag bereit. Mit der Lohnerhöung um 11 Prozent und der Absenkung der Wochenarbeitszeit von 41 auf 40 Stunden setzt sie ein Zeichen für eine Umkehr nach über einem Jahrzehnt gewerkschaftlich selbstverordneter Lohnzurückhaltung, "Flexibilisierungen" und Reallohneinbußen. Der Sieg der GDL ist damit zugleich ein Sieg der unteren zwei Drittel der deutschen Gesellschaft.

Dieses Ergebnis zeigt auch auf, daß ebenso gegenüber einem überdurchschnittliche Gewinne schreibenden Konzern wie der Telekom ein weitaus besseres Ergebnis möglich gewesen wäre als die Verhandlungsführung von ver.di erzielte. Bei den derzeit laufenden Tarifverhandlungen mit Bund und Gemeinden steht ver.di daher unter Druck der Basis, nicht erneut als Lohnsenkungsgewerkschaft zu agieren. Und selbst die IG Metall setze mit einer aktuellen Forderung nach acht Prozent Lohnerhöhung nun eine höhere Marke als gewerkschaftsintern spekuliert wurde.

Es wäre allerdings eine Fehlinterpretation, die hier sichtbare Umkehr allein der GDL positiv zugute zuschreiben. Es ist vielmehr so, daß ein gesellschaftlicher Stimmungsumschwung, der seit den Hartz-Gesetzen von "Rot-Grün" an Dynamik gewinnt, den Erfolg der GDL erst ermöglichte. Ohne die - vor wenigen Jahren noch völlig undenkbar erscheinende - breite und in Umfragen dokumentierte Unterstützung der GDL-Forderungen durch eine Mehrheit der Deutschen hätte der Kampf nicht zehn Monate durchgehalten werden können. Erfreulich auch, daß die Stimmungsmache einer Einheitsfront der Mainstream-Medien gegen die GDL diesmal ins Leere lief.

Angesichts des eigenen 3,18-Millionen-Salärs und der Miliarden-Gewinne, mit denen er die Bilanz der DB AG schmückte, um sie auf die umstrittene Privatisierung vorzubereiten, erscheint Mehdorns Drohung mit Preiserhöhungen und Entlassungen mehr als dreist. Mit diesem neuerlichen Versuch, die Bahnbelegschaft mit der Androhung von Entlassungen zu spalten, hat Mehdorn überzogen und das Gegenteil erreicht. Die Basis der DB-Gewerjkschaften Transnet und GDBA zwangen ihre Führung diesmal, Solidarität mit der DGL zu zeigen und den Angriff Mehdorns zu kontern. Selbst ExpertInnen und PolitikerInnen sämtlicher Couleur zeigten sich über Mehdorn Nachkarten empört.

Dies ist zugleich Gelegenheit daran zu erinnern, daß die gewerkschaftliche Potenz in der Solidarität begründet ist - daß also Transnet, GDBA und GDL sich nun an einen Tisch setzen und ohne Einmischung von Mehdorn eine schlagkräftige Einheit zusammenschweißen müssen, ohne dabei die nötige Autonomie der Teile in Frage zu stellen.

 

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